Ich möchte euch von einem Ereignis in meinem Verein erzählen, dass mich persönlich sehr verwundert und auch etwas enttäuscht hat. Aber dazu muss ich etwas ausholen:
Es handelt sich dabei um einen Spieler, der im Nachwuchs zu unseren Verein wechselte und mittlerweile in der U23-Mannschaft spielt. Im Nachwuchs kam es eigentlich selten zu Problemen, da der betreffende Spieler (ich nenne ihn der Einfachheit halber Anton, auch wenn das nicht sein richtiger Name ist) immer zu den besseren seines Jahrgangs zählte und somit eigentlich fast immer gesetzt war.
Der Spieler wurde auch immer wieder (anfangs nur sporadisch) in der U23 eingesetzt. Dort war es allerdings nicht mehr ganz so einfach und da er körperliche Defizite hat, setzte er sich dort dann nicht immer so durch, wie noch im Nachwuchsbereich. Das hatte zur Folge, dass sich Verletzungen häuften. Die medizinischen Ursachen dahinter waren eher schleierhaft. Diagnosen und Kräftigungsprogramme wurden erstellt, aber immer wieder gab es Rückfälle. Für mich schon ein erstes Zeichen, dass es sich hier um eine Stressreaktion des Körper handelte.
Anton wurde, so meine Theorie, schon damals mit der physischen, aber auch mit der mentalen und emotionalen Belastung in der U23 nicht fertig. Die Eltern versuchten zu diesem Zeitpunkt sogar, Anton in die Kampfmannschaft zu „intervenieren“ (der Vater des Spielers ist Trainer in unserer Nachwuchsabteilung, aber mehr dazu später).
In der Folge wurden die Verletzungspausen nicht weniger und Anton konnte immer nur sporadische trainieren. Nach ein paar Wochen Training, folgten wieder ein paar Wochen (Verletzungs-)Pause, wobei die „Erholungs“-Pausen meist länger waren als die Wochen die Anton im Training stand. James E. Loehr schreibt dazu in seinem Buch „Die neue mentale Stärke“ zwei Dinge die in diesem Zusammenhang interessant sind: „Beträchtliche Schwächungen physischer, mentaler oder emotionaler Art, die auf Grund zu langer Erholung (Überbehütung) entstanden sind, erfordern in Zeit und Intensität zunehmende Stressperioden, um Wiederherstellung und Stärkung zu ermöglichen.“
Es ist also egal ob Antons Probleme physischer (z.B. Knieverletzung), mentaler (z.B. erhöhte Angespanntheit in Stresssituationen) oder emotionaler (z.B. Versagensangst) Natur sind, er hätte die Stressphasen (Training) langsam erhöhen und die Erholungsphasen (kein Training, oder regeneratives Training) verringern müssen. Das Gegenteil war aber der Fall und so konnte er nie richtig genesen.
Im gestrigen Spiel ergab sich nun folgende Situation: Anton spielte von Beginn an in unserer U23, wurde aber in der Halbzeit, wegen mangelnder Leistung einerseits und andererseits weil er erst seit 3 Wochen wieder im Training stand, ausgetauscht. Die Folge: Anton uns sein Vater verließen Wutentbrannt den Sportplatz. Am heutigen Tag kam der Vater, gab seine Platzschlüssel ab und erklärte seinen Rücktritt als Nachwuchstrainer.
Meine Rückschlüsse (es handelt sich dabei natürlich um reine Mutmaßungen) sind die folgenden:
Anton fehlt es schlicht und einfach an emotionaler Stärke, in Folge von emotionaler Überbehütung durch die Eltern. Anton wird von seinen Eltern möglicherweise zu nachsichtig behandelt und viel zu sehr verwöhnt. Loehr schreibt in diesem Zusammenhang: „Verwöhnte Sportler sind schlechte Wettkämpfer, weil sie den Stress des Wettkampfes einfach nicht tolerieren können. Sowohl unsere Muskeln als auch unsere Emotionen benötigen ein gewisses Maß an Stress, um wachsen und sich zu entwickeln. Überbehütete Sportler müssen, um stärker zu werden, Schicht für Schicht ihren emotionalen Schutzschild entfernen. Das bedeutet, größere emotionale Risiken einzugehen und mehr emotionale Enttäuschungen einzustecken.“
In unserem Fall wurde Anton immer wieder von seinen Eltern vor emotionalen Enttäuschungen bewahrt. Nicht er hat die Konsequenzen aus seinen Handlungen auszuhalten, sondern die Schuld wird auf den Trainer geschoben. Der Vater tritt sogar in seiner Funktion als Nachwuchstrainer zurück (die mit dem Spieler Anton in keinerlei Zusammenhang stand). Er gibt seine geliebte Arbeit mit achtjährigen Kindern auf, um seinen Sohn zu beweisen, dass nicht er, sondern der „Verein“ schuld ist. Ein größeres und heftigeres emotionales Schutzschild für Anton kann es gar nicht geben.
Besser wäre es mit Anton seine Leistung in der ersten Halbzeit möglichst objektiv zu analysieren und mit ihm gemeinsam Gründe für seine Auswechslung zu suchen. Diese könnte man dann gleichzeitig als Ansatzpunkte für Verbesserungen und Schwerpunkte für das Training verarbeiten. So würde man Anton zwar Rückhalt bieten, ihn aber gleichzeitig auch mit seiner Leistung und den daraus entstandenen Konsequenzen konfrontieren. Somit wäre schon eine Schicht des emotionalen Schutzschildes weg und der Spieler könnte sich in seiner Persönlichkeit weiterentwickeln. Eigentlich höchste Zeit für einen 18-jährigen Fußballer. Für Anton scheint es aber noch ein weiter weg zu sein, bei dem ihn auch ein Vereinswechsel nicht helfen wird. Denn ein solcher ändert nichts an den physischen, mentalen und emotionalen Problemstellungen.
Damit gibt es in diesem Fall drei Verlierer, einerseits natürlich Anton der aus der Situation nichts lernt, außer das er ein dickes emotionales Schutzschild in Form seiner Eltern um sich hat. Den Vater der seine Arbeit mit den Kids sehr geliebt hat. Und zu guter letzt auch der Verein (inklusive der Kinder der U10), der nicht nur einen engagierten Trainer, sondern auch einen durchaus talentierten Anton verliert.